Der Zeit voraus

In den letzten Tagen bevölkerte anlässlich seines bevorstehenden 500. Todestages das Universalgenie Leonardo da Vinci häufiger die Zeitung. Jedes Mal erzeugt die reine Aufzählung einiger Werke bei mir fassungsloses Kopfschütteln darüber, wie ein einziger Mensch zu dieser Zeit trotz schlechter Voraussetzungen so viel Fortschrittliches ersinnen und gestalten konnte. Am Rande amüsierte mich die dargestellte Konkurrenz zwischen Italien und Frankreich, die den Mann gerne beide für sich beanspruchen wollen.

Im Kleinen geht das auch zwischen dem Münsterland und Merseburg am Bodensee. Jede Region hätte die Dichterin Anette von Droste-Hülshoff gern für sich. Auch sie war ihrer Zeit als schreibende Frau deutlich voraus, „wär ich ein Mann doch mindestens nur“ klagt sie in einem ihrer bekannteren Gedichte über ihre eingeschränkten Möglichkeiten. Dabei stammt sie aus einer wohlhabenden und privilegierten Familie.

Die Hauptperson in dem Film ist arm wie eine Kirchenmaus. Gäbe es nicht den hingebungsvollen und großzügigen Bruder Theo, hätte Vincent gar nichts.

KINO-UPDATE. Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit heißt das ambitionierte, aber nicht ganz überzeugende Werk von Regisseur Julian Schnabel. Er hat versucht, den labilen Geisteszustand des Malers mit filmischen Mitteln auszudrücken. Die Kamera wackelt, dreht sich um, schwankt, nimmt merkwürdige Perspektiven ein. Oft wird die Leinwand schwarz und der Zuschauer hört nur die Stimme des Künstlers. Das begleitende Klavier ist ziemlich laut und teilweise sehr dominant. Mehr als gelungen ist dagegen das Casting. Willem Dafoe spielt den Maler mit einer Überzeugungskraft, als sei er der wiedergeborene Van Gogh selbst. In einer der besten Szenen sieht man Mads Mikkelsen als Pastor im Gespräch mit dem verrückten Maler. Der Geistliche versucht ehrlich zu ergründen, warum sich jemand als Maler bezeichnet, der ganz offensichtlich nicht malen kann, dessen Bilder verstörend und überaus hässlich sind. Van Gogh erklärt ihm, er vermute, dass er zur falschen Zeit geboren sei. Die Menschen, die seine Kunst verstehen könnten, müssten wohl erst noch geboren werden.

Empfehlung: Einen Museumsbesuch mitplanen und die Bilder Van Goghs nach dem Film noch einmal neu auf sich wirken lassen.

27 Kommentare

  1. Bei dem Leonardo geht’s mir so wie dir. Unfassbar genial war der!
    Bei der Droste bitte Meersburg statt Merseburg, das nicht am Bodensee liegt …
    Ad Vincent: da muss ich wohl mal wieder ins Kino gehen 😊
    Liebe Morgengrüße vom Lu

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  2. Leonardo Da Vinci war so genial, dass ich zu meiner Verärgerung gerade schon wieder feststelle, dass medial nach Beispielen gesucht wird, wo er „Fehler“ gemacht hat, sich nicht wohlverhalten hat.
    Bei Van Gogh – der Film hat mich schon als Vorschau neugierig gemacht – hatte ich schon immer das Gefühl, dass er die Dinge – besonders den Himmel – tatsächlich so gesehen hat, wie er sie malte. Das finde ich besonders spannend. Die wild kreise(l)nde Aufspaltung der Wahrnehmung erinnert mich an die Phasen kurz vor einem Migräneanfall.

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      1. Nein, eher nicht. Sie wird durch das Depressive, Dunkle magisch ins Dunkle reingezogen.

        Light Sleeper war einer der 1ten Filme mit Dafoe, die mich begeisterten. Habe ich auf DVD.

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      2. Verstehe. Du solltest sie nicht in Filme gehen lassen, bei denen tendenziell zu erwarten ist, dass Ohren abgeschnitten werden…
        Den Film kenne ich gar nicht. Muss jetzt wieder in den Garten, ist gerade noch trocken…

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