Drei

Befriedigend heißt die Note, die alles andere als das ist. Demnächst muss ich wieder einige verteilen, wohl wissend, dass sich hinter dem Schildchen „Drei“ ein nahezu gigantisches Leistungs- und Persönlichkeitsspektrum verbirgt. Es kann sich natürlich um den wenig brillanten, aber zuverlässigen Fleißarbeiter handeln, genauso um das eisern schweigende und Hausaufgaben verabscheuende Genie oder den Achterbahnfahrer, der im Laufe des Schuljahres von der Eins bis zur Fünf alles mitnimmt. Dazwischen sind weitere Varianten und Variantinnen vertreten. Mit der Drei ist ein Etikett aufgeklebt, das bei näherer Betrachtung nichts aussagt.

Ein Film, der in die Schublade Sciene Fiction einsortiert wird, weckt bestimmte Erwartungen nach Galaxien, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. KINO-UPDATE.

Die Erwartungen werden insofern erfüllt, als da ein Raumschiff in Lichtgeschwindigkeit durchs All rast. Es ist weder hübsch stromlinienförmig noch sonst cool, das Ding sieht aus wie ein großer Handelscontainer. Was darin stattfindet, will man eigentlich gar nicht wissen. Eine irgendwie psychotisch wirkende Reproduktionsmedizinerin versucht sich an der Erschaffung eines Menschen unter den Bedingungen harter Weltraumstrahlung. Dazu nutzt sie das Sperma und die Gebärmütter der jungen „Freiwilligen“. Im Raumschiff leben nämlich junge zum Tode verurteilte Männer und Frauen, die als Versuchskaninchen missbraucht werden. Schon eigenartig, in diesem Setting Juliette Binoche anzutreffen, die eine sehr abstoßende Weltraumhexe im weißen Kittel spielt. Robert Pattinson ist eines ihrer Kaninchen und gibt keinerlei Anlass, über seine schauspielerische Leistung zu lächeln. Über den Glitzervampir ist er längst hinausgewachsen. Er steht im Zentrum der Handlung, die unterbrochen von vielen Rückblenden zeigt, wie er mit seiner kleinen Tochter versucht auf diesem Raumschiff ein normales Leben zu führen. Denn alle anderen sind im Laufe der Zeit auf mehr oder weniger brutale Weise ums Leben gekommen. Um die Zuschauer-Erwartungen an Science Fiction hat Regisseurin Claire Denis sich wenig gekümmert. Das Container-Raumschiff zeigt wie in einem Kammerspiel, dass Menschen einander das Schönste und das Schrecklichste sein können.

Meine Kinotexte schreibe ich meistens direkt nach dem Film. Wenn ich genau weiß, was da kommt, ist der Text zum überwiegenden Teil in meinem Kopf sogar schon vorgefertigt wie ein Lückentext. Für High Life brauchte ich ganze drei Tage, um mit den Eindrücken fertig zu werden und mir darüber Klarheit zu verschaffen, was der Film mir sagt. Drei. In diesem Fall ein Zeichen von Qualität.

P. S. Das Beitragsfoto zeigt eine Installation der letzten documenta, u. a. einen Schrumpfkopf, der mich irgendwie an Andrea Nahles erinnert, diese aber nicht darstellen soll. Es ist kein Motiv aus dem Film.

14 Kommentare

  1. Man sollte sich ein paar Gläser Wein schön zu Hause trinken. Und sich so einen Scheiß nicht ansehen.
    Was fehlt den Menschen eigentlich heute, das sie sich für abartigen, brutalen und Menschenverachtenden Unsinn begeistern können.
    Was fehlt ihnen? ___________________________

    Like

    1. Ich bin ja für einen Wein immer zu haben. Aber einen solchen Film einfach als „Scheiß“ abzutun,wird der Sache in diesem Fall nicht gerecht. Abgesehen davon fehlt den Menschen heute eine ganze Menge, was allein die Lektüre der Tageszeitung beweist. Wie auch immer, man kann auch in „Aladdin“ gehen und an der Wunderlampe reiben…

      Like

  2. Das erinnert an die Menschenversuche im Nationalsozialismus. Erst kürzlich war in einer Dokumentation (auf Arte?) zu sehen, was enthemmte Mediziner für barbarische Versuche ausgedacht und durchgeführt haben, immer unter dem Deckmantel der Wissenschaft und der Organisation „Ahnenerbe.“
    „Dass Menschen einander das Schönste und das Schrecklichste sein können“, ist wahr formuliert.

    Gefällt 1 Person

  3. Solche Dokumentationen kann ich mir gar nicht ansehen – auch den Film hätte ich vermutlich vermieden, wenn ich geahnt hätte, was da wie dargestellt wird. Andererseits war es eine gute Gelegenheit, über die ewige Frage nachzudenken, was einen Menschen zum Menschen macht. Danke für das Formulierungslob!

    Gefällt 1 Person

    1. 1. Nein, das ist nicht die arme Frau Nahles, aber auf der Suche nach einem morbiden Foto auf meinem Handy fiel mir das auf. Ich finde, dass es den aktuellen Zustand trauriger Weise gut trifft.
      2. Der Pattinson macht seine Sache wirklich gut, man sollte sich von ihm nicht abschrecken lassen.

      Like

Hinterlasse einen Kommentar