Das war eine verdammt harte Nuss, dieses Tütchen, noch schwieriger zu recherchieren als im April die mit dem Tukan, Tüte der Woche Nr. 28 . Ich habe sie auch nicht ganz knacken können, aber die harte Schale hat deutliche Risse bekommen.
Doch zuerst die Fakten:
Breite: 24 cm. Höhe: 37,5 cm.
Die Vorderseite und die Rückseite sind gleich, der Aufdruck ist hauptsächlich petrolblau, ein Hingucker leuchtet signalrot.
Zu sehen ist ein gerahmter 20×23 cm großer Kasten. In der oberen Hälfte befindet sich ein blaues Rechteck, vor dem sich ein Haus abhebt. Der Baukörper des Hauses wurde sinniger Weise gebildet aus den Buchstaben HUS, wobei das U nur umrandet ist. Das Dach wird gebildet von einem aufgeklappten Buch, das Dreieck des Dachgiebels ist rot hervorgehoben.

Unter dem Haus steht das Wort Lernmittel in mustergültiger Schreibschrift, darunter Geschäftsbücher in Druckbuchstaben.

Was sind denn Geschäftsbücher? Bei der Recherche stelle ich fest: der Traum aller Historiker. Viele Handwerker und Kaufleute, vom Mittelalter bis in die Neuzeit, haben hierin nicht nur Geschäftstätigkeiten, sondern auch allerlei privates eingetragen. Die Firma HUS hat also nicht nur Schreib- und Rechenhefte, sondern auch solche Bücher produziert.
Die Eingabe von HUS führt auf diverse Holzwege sowie zur Konkurrenz, z.B. König und Eberhard oder Herlitz. Hmm.
Mit Ebay hatte ich ja auch beim Tukan Erfolg. Und siehe, jemand hat jede Menge Hefte aus Opas Schrank abzugeben, die, so der Verkäufer, von der nicht mehr existierenden Firma Hof & Schulze aus Ründeroth stammen sollen. Hurra!
Schade nur, dass es eine Gemeinde Ründeroth auch nicht mehr gibt, sie wurde Engelskirchen zugeschlagen.
Doch immerhin ist da ein alter Heimat – und Ortsverschönerungsverein, den ich gleich anschreibe. Prompt meldet sich der Vorsitzende Herr Gissinger. Er habe die Anfrage an den Archivar weitergeleitet, befürchte aber, dass nicht sehr viele Informationen vorlägen, weil die Firma im Ortsteil Wiehlmünden ansässig gewesen sei. Aber immerhin, der letzte Geschäftsführer der Firma, Hans Everts, sei von 1953 bis 1978 Vereinsvorsitzender gewesen.
Nun heißt es abwarten, ich stelle Schroedel und Wüllner als Tüten der Woche vor.
Schließlich meldet sich Dr. Frank Gelhausen, er ist mit den Ergebnissen nicht ganz zufrieden, da viele Fragen offen bleiben. Er schreibt:
Sehr geehrte Frau Heming, anbei die leider doch sehr spärlichen Infos zur Firma Hof & Schulze (HUS) in Ründeroth /Wiehlmünden. Die Firma wurde 1910 von Karl Hof… gegründet. Max Schulze trat 1912 als Teilhaber in das Unternehmen ein. Die Firma stellte Geschäftsbücher für alle Zwecke, Lernmittel aller Art, Taschenkalender, Notizbücher, Formulare sowie Drucksachen für den Schul- und Bürobedarf her. Kurz vor dem Beginn des 2. Weltkrieges waren 100 Personen beschäftigt. Während des Krieges??? Nach dem Krieg wurde die Produktion fortgesetzt bis gegen Ende der 1980er Jahre die Absatzbedingungen der Produkte immer schwieriger wurden. 1994 wurde die Produktion eingestellt und das Unternehmen aufgelöst. Heute befindet sich auf dem ehemaligen Betriebsgelände ein Aldi…
Soweit. Während Herr Dr. Gelhausen freundlicher Weise das Archiv durchkämmte, hatte ich mich weiter durch die Kleinanzeigen gewurschtelt. Ein weiterer Anbieter von Altpapier sprach davon, dass die Firma HUS von Brunnen übernommen worden sei. Das möchte ich mir doch wenigstens kurz bestätigen lassen und wende mich per Kontaktformular an besagte Marke.
Knapp, aber doch sehr flott und mit der benötigten Antwort meldet sich Frau Schuhmacher vom Kundenservice:
Sehr geehrte Frau Heming, die Firma Hof & Schulze wurde Mitte der 90er Jahre von Baier & Schneider GmbH & Co KG (Brunnen ist unser Firmenlogo) übernommen. Das Sortiment – überwiegend Kladden – wurde ins Brunnen – Sortiment integriert.
Dass eine recht große Firma so spurlos verschwinden kann.
Die kleine Reihe zu Büchern ist hiermit zu Ende. Weiter geht es in der kommenden Woche mit Handwerk und Handarbeit.
Dein Beitrag zeigt mal wieder, wieviel Recherche hinter dem Projekt „Tüte der Woche“ steckt. Ich bin inspiriert durch deinen Hinweis auf „Geschäftsbücher.“ Da scheint mir eine Ähnlichkeit vorzuliegen zu den Sudelbüchern Lichtenbergs, die er sich bei den Kaufleuten abgeschaut hatte:
„Die Kaufleute haben ihr Waste book (Sudelbuch, Klitterbuch glaube ich im Deutschen), darin tragen sie von Tag zu Tag alles ein was sie verkaufen und kaufen, alles durch einander ohne Ordnung“, bevor sie es dann systematisch in „Journale“ übertragen. .Er schreibt:„Wenn jemand alle glücklichen Einfälle seines Lebens dicht zusammen sammelt, so würde ein gutes Werk daraus werden. Jedermann ist wenigstens einmal im Jahr ein Genie. Die eigentlichen so genannten Genies haben nur die guten Einfälle dichter. Man sieht also, wie viel darauf ankommt, alles aufzuschreiben.“ und weiter: „Schmierbuchmethode bestens zu empfehlen. Keine Wendung, keinen Ausdruck unaufgeschrieben lassen. Reichtum erwirbt man sich auch durch Ersparung der Pfennigs-Wahrheiten.”
Die schwarzen Notizbüchlein von Brunnen liebe ich übrigens sehr.
Gefällt mirGefällt 1 Person
Zu Beginn der Reihe habe ich mich ja eher auf die reine Beschreibung fokussiert, aber die zunehmend interessanten Erfahrungen mit den Geschichten hinter den Tüten haben die Recherche zum Schwerpunkt werden lassen. Die von dir so kenntnisreich vorgestellten Sudelbücher haben tatsächlich viel Ähnlichkeit mit den ganz alten Geschäftsbüchern.
Gefällt mirGefällt 1 Person