Tüte der Woche Nr. 65

Es trug sich zu am Jahresbeginn 1984 oder ’85, dass ich meinen verblüfften Eltern mitteilte, ich würde die Osterferien woanders verbringen. Ich hatte mich im Stillen auf eine Anzeige für einen Ferienjob beworben und just eine Zusage erhalten. Daraufhin nähte meine Mutter einen Haufen Dienstkleidung, nämlich hübsche Baumwollschürzen, denn ich wollte mich knapp drei Wochen als Zimmermädchen verdingen. Was das mit der aktuellen Tüte zu tun hat, klärt sich sogleich. Doch zuerst die Fakten:

Die Vorderseite und die Rückseite sind gleich, die Tüte ist weiß grundiert mit blau-gelbem Aufdruck.

Breite: 33,5 cm. Höhe: 42 cm.

Das Design erinnert mich sehr an die 70er Jahre, die abwechselnd blauen und gelben Kreise (8,5 cm Durchmesser) mit den gegenfarbigen Innenkreisen (4,5 cm Durchmesser) wirken sehr fröhlich.

Die drei Reihen sind durch einen gelben Balken (6,5 cm Höhe) unterbrochen, auf dem in Blau der Werbespruch steht:

Alles trifft sich bei STADTLANDER

Stadtlander, Stadtlander… In meinem winterschlafdämmrigen Kopf klingelt absolut gar nichts. Irgendeine dahingeschwundene Kaufhauskette? Ich frage Google und bin plötzlich ganz wach. Stadtlander gibt es nur, und vor allem immer noch, auf der schönen Insel Baltrum. Und da bin ich mal Zimmermädchen gewesen. Wie gut von mir, an eine Tüte gedacht zu haben, auch wenn ich mich nicht mehr an das Geschäft erinnern kann, sondern nur noch an das winzige Stübchen unter dem Dach des Hotels, die vielen gefalteten Handtücher und das Aprikoseneis in der Mittagspause.

15.33 Uhr. Die Webseite des Geschäftes ist im Neuaufbau. Ich schreibe die aktuellen Inhaber mit meinem inzwischen ganz flüssigen Sprüchlein zur Tütenforschung an. 16.52 Uhr. Rekord! 😊 Geschäftsführerin Caroline Bent schickt nicht nur eine nette Mail, in der sie sich freut, in den Tütenreigen aufgenommen zu werden, sondern im Anhang gleich ein Foto der Familie nebst Dokumenten zur Firmengeschichte.

Und die beginnt schon recht amüsant mit der erbosten Urgroßmutter der jetzigen Inhaberin. Auf ärztlichen Rat verbrachte sie im Jahr 1926 mit ihren beiden Kindern den Urlaub auf Baltrum. Als der Sohn sich das Knie aufschrammte, gab es auf der ganzen Insel nirgendwo ein Pflaster zu kaufen. So sagte Caroline Stadtlander nach der Rückkehr in Bremen zu ihrem Mann, auf diese Insel brächten sie keine 10 Pferde mehr. Das sah Drogerist und Kaufmann Bruno Stadtlander ganz anders. Er pachtete 1927 ein Grundstück, ließ ein Holzhaus errichten und eröffnete zur Feriensaison eine Filiale. Schon 1928 kaufte er ein Grundstück und errichtete das erste eigene Gebäude und die Familie verlegte ihren Wohnsitz.

Stadtlander ist inzwischen eine Institution für die Insel, hier gibt es quasi alles – und noch immer ist das Geschäft in Familienbesitz. Geradezu legendär sollen die Moonlightshopping-Events sein.

Sieht ganz danach aus, als würde es mit dem Familienbetrieb weitergehen können.

Ich bedanke mich bei Frau Bent und frage wegen der Tüte noch einmal genauer nach.

Also die, schreibt Frau Bent, hätten ihre Eltern damals auf den Hamburger Einkaufstagen ausgesucht – in großer Stückzahl für 5 bis 10 Jahre. Das Design wieder aufleben zu lassen, wäre sehr teuer geworden, da man kein Recht auf das „Image“ besessen habe. Daher hätten sie sich 2005 für ein neues Design entschieden, diese Tüte sei bis heute in Gebrauch. Seit die Tüten Geld kosten, berichtet Frau Bent, sei die Nachfrage stark zurückgegangen, so dass noch ein großer Vorrat im Keller liege.

Die „Neue“ – keine Kreise mehr, dafür Wellen.

Frau Bent schließt ihre erste Mail mit dem Wunsch, wir möchten doch, sobald das Reisen wieder möglich sei, bitte wieder auf der Insel vorbeischauen.

Herzlich gern, wir freuen uns darauf! Für die Zimmermädchen werde ich das Trinkgeld großzügig bemessen. 😊

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Und auch wenn das neue Jahr begonnen hat: Bis Ende des Monats bitte noch abstimmen für die Tüte des Jahres 2020. Informationen dazu HIER, gerne auch Kommentare.

14 Kommentare

  1. Das ist ja toll.! Mit dem Kontakt zu der Geschäftsinhaberin dieser Tüte 65,gleich eine Einladung zum Urlaub auf die Insel zu bekommen.Das ist doch sehr erfolgreich.!! Vielleicht klappt das dieses Jahr.??

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    1. Die Tüte schielt ein wenig, wirklich süß, oder? Und die Pflaster – Geschichte hat mich auch gleich für Baltrum eingenommen, obwohl mein damaliger Aufenthalt, wie meine Mutter sich zu erinnern glaubte, finanziell nicht so einträglich gewesen war wie erhofft.

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      1. ja, jetzt wo du’s sagst. Finanziell war es ja vielleicht nich einträglich aber die Erinnerung trägt dich bis heute, das ist ja auch was wert und ich rieche jetzt förmlich Nordseeluft.

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