Choreographiertes

Irgendwie bin ich in letzter Zeit gefühlt dauernd in Dortmund. Nicht immer ging es dabei so spektakulär dabei zu, wie am Sonntag. Kunst erwacht zum Leben, heißt es auf dem Flyer. Nach völlig reibungsloser Anreise mit dem ÖPNV latschten wir durch strömenden Regen von der U-Bahn zur Phoenix-Halle, einem ehemaliges Eisenhüttenwerk mit umgebender Industriebrache und auch schon neuen Gebäuden. Die Halle war Veranstaltungsort für ein „immersives Erlebnis“, so verspricht es der Flyer. Dabei kann man Werke von Wiener Künstlern wie Gustav Klimt, Egon Schiele oder Friedensreich Hundertwasser nicht einfach nur ansehen. Nein, man bzw. ich, stand mit offenem Mund und aufgerissenen Augen in der Halle und staunte über die Kunst, die um einen herum an den Wänden emporwächst, sich entfaltet, leuchtet, explodiert und auseinanderstäubt.

Begleitet wird die Kunstschau von intensiver, perfekt abgestimmter Musik. Da bin ich dem Firmengründer von Culturespaces Digital, Bruno Monnier, sehr dankbar, dass er aus dem Digitalisat von Kunstwerken sinnliche Erlebnisse zu schaffen vermochte. Für kleine Kinder oder Menschen mit Flackerlicht-Empfindlichkeit ist das nichts, alle anderen gehen herum, staunen, stehen oder lassen sich völlig übermannt in die Sitzsäcke fallen. Zum Glück waren wir sehr früh, denn alsbald wurde es brechend voll. Ich empfehle zum Besuch den zweiten schönen Frühlingstag. Den ersten muss man doch der Natur widmen.

KINO-UPDATE. Das wird jetzt nix mit dem geschmeidigen Übergang. Vielleicht so: Auf der Skala wertvoller Kunst rutschen wir im Kino sehr gemütlich einmal von einigermaßen weit oben nach sehr weit unten. Aber auch dort ist die Choreographie stimmig, eigentlich das Beste am Film. Ein Werk mit sehr hohem Body-Count, noch dazu der 4. Teil und für 99,9% der Leserschaft dieses Blogs völlig indiskutabel. Lässt man die Gewaltexzesse einmal beiseite, werden Grundfragen der menschlichen Existenz ausgeleuchtet: Was kann und muss man für seine Freunde tun oder aushalten? Zählt Familie mehr als Freundschaft? Ist Konsequenz besser als Nachgeben?

Ja, gut, die meisten gehen nicht deswegen in John Wick 4, sondern wegen der herausragenden Kampfszenen. Die werden in epischer Länge in Osaka, Berlin, New York und Paris gezeigt. Ein netter Hund kommt auch vor, begleitet von einem Mann, der als Hommage an große Epen „Niemand“ heißt und bestimmt im 5. Teil wieder mitmachen darf…sollte die Hauptfigur aus dem Grab erstehen. Ich hoffe sie rütteln aber nicht an der schönen Gewissheit, mit der wir nach 170 Minuten das Kino verließen:

Wer viele Lakaien, aber keine Freunde mehr hat, wird den Krieg am Ende verlieren.

12 Kommentare

      1. Ja, vielleicht hier, aber JW4 brummt. Mühelos auf Platz 1, was heißt ich steh nicht ganz so alleine da, aber ich bin ja,auch schon über 18. Und zwar schon lange. Und habe ein bisweilen sehr einfaches Gemüt, mich unterhalten zu lassen.

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  1. Ich habe Teil 1 – 3 im Fernsehen gesehen und hatte hauptsächlich Mitleid mit dem Hauptdarsteller: Die Eleganz der choreografierten Kämpfe in Matrix hat er nicht mehr, eigentlich ist er ein schwerfälliger alter Sack, der sehr von der Schnitttechnik profitiert, und natürlich vom Drehbuch, das ihn jeden Kampf gegen alle Wahrscheinlichkeit gewinnen läßt. Mit der Story bin ich irgendwann nicht mehr mitgekommen, aber ich habe mir kognitiv auch keine Mühe gegeben, das rauschte so an mir vorbei, ich war ein bißchen gelangweilt, weil die Keilerei doch arg ausgedehnt ist. Aber ich bin mir sicher: Wenn Teil 4 im TV gezeigt wird, bin ich wieder dabei. Aber wirklich fast drei Stunden? Muß das sein?

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    1. Für die Eleganz der Kämpfe ist tatsächlich nicht Neo/John verantwortlich. Was aber die Schwerfälligkeit angeht, habe sie ein paar Riesen aus dem osteuropäischen Raum gefunden, die sich mit 200 kg bewegen wie eine Ballerina.

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  2. Aufgrund dieses Ihres letzten Satzes dieses Beitrags, zähle ich mich ab sofort zur WP-0,1%-Minderheit, Sie wissen schon… – und erinnere mich, daß man, je größer das zuvor empfangene Kunstflash ist, umso leichter die Liebenswertigkeiten von danach genossenen Plattitüden nach/mitempfinden kann … 😉
    Der Hauptteil ihres Beitrages liest sich so, als daß man sich besser kein THC oder gar halluzinogene Substanzen im Vorfeld der Ausstellung selbstverabreichen sollte, weil man dann möglicherweise an Lach- oder Weinkrämpfen stürbe. Ich dachte irgendwie an Franz West, was die zeitgenössische Präsentation der allseits bekannten Uffizien angeht … ich wäre vermutlich ebenfalls in einen Sitzsack gesunken, überwältigt von den Gehirnexplosionen, die offenbar auch ohne Chemie stattfinden, ebenda – hätte ich gern gesehen und fühlt sich äußerst lebendig an – vermute außerdem, diese ART Kunst 😉 hätte auch den Meistern der Alten Schule gefallen.

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    1. Diese Ausstellung soll noch mindestens bis Ende des Jahres laufen, Sie können also noch lange selbst gucken. Zu Fuß zwei Haltestellen, mit dem Bus 2 oder 3, wenn er denn mal fährt (im Sommerfahrplan hoffentlich wieder öfter) (Bushaltestelle 3 ist wenige Meter näher am Eingang, dafür eine Treppe hoch). Vielleicht nach dem ersten nüchternen Besuch noch mal under influence wiederkommen (persönliche Erfahrung: Lawrence von Arabien unter etwa 2l Amselfelder Rose von der Tankstelle ist ein ganz anderer Film)

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      1. Herzlichen Dank für die ähnlich GPS-genauen Hinweise … ;-!
        Nun, sollte ich tatsächlich aus Wien anreisen, was bei mir nie auszuschließen ist, würde ich vermutlich mit dem Motorrad bis vor die Eingangstüre fahren bzw so weit vor, als dies eben möglich ist – dann selbstverständlich vollkommen nüchtern, wie ich sowieso kein Freund von die Faszination möglicherweise steigernden Substanzen bin, wenn ich mir kleine oder große Kunst ansehe. Bestätigen kann ich allerdings, daß Dinge im delirierten Zustand anders erscheinen – besser finde ich sie deswegen nicht, wenigstens im Nachhinein ;} und habe auch keine fantastischeren Zugänge zu meinen Empfindungen, wenn ich mir ein Gläschen Grappa zuviel in den Espresso schüttete – eine gewisse Abgehobenheit schließen solche Fälle natürlich nicht aus und sind keineswegs unangenehm 😉 …

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